Warum du nicht glücklich sein willst

Deepak Chopra

29. November 2010

Es ist ermutigend, dass sich die Psychologie mittlerweile mit  gesunden Denkweisen anstatt nur mit Neurosen und Geisteskrankheiten befasst. Dennoch ist die Annahme, dass Menschen glücklich sein wollen, fragwürdig.

Schon seit Aristoteles gilt es als selbstverständlich, dass wir Menschen glücklich sein möchten.  Pragmatische Wirtschaftstheorien aus dem 18. Jahrhundert gingen sogar soweit, zu behaupten, dass Menschen einem objektivem Lustkalkül folgen und nach so viel Glück wie möglich streben.

In Wirklichkeit tun wir Menschen viel, um unser Glück zu begrenzen. Schikanierte Partner bleiben in einer Beziehung und dulden Missbrauch. Alkohol und andere Abhängigkeiten ruinieren Leben. Wir treffen Entscheidungen, für die wir uns langfristig schämen, missmutig fühlen oder aufgrund derer wir emotional völlig dichtmachen.

Warum wollen wir unglücklich sein?

Hier ein paar nicht immer offensichtliche Gründe, die mir einfallen.

  • Wir fühlen uns minderwertig.
  • Märtyrertum reizt uns.
  • Wir sind innerlich uneins oder verwirrt.
  • Wir glauben, dass Leiden gut für uns ist.
  • Wir haben Depressionen oder Angst.
  • Wir sehen uns als Opfer unserer Umstände.
  • Wir erleben viel Stress.
  • Wir wollen nicht gesund sein.

Auch wenn wir Milliarden für Medikamente gegen Depressionen und Angst ausgeben, scheinen diese Gedanken mächtiger zu sein. 40 Jahre Forschung über Botenmoleküle, den Teilchen, die vom Gehirn in jede Zelle gehen, zeigt, dass es zwischen Körper und Geist keine erkennbare Verbindungslinie gibt. Unsere Zellen fühlen daher jeden stressigen Augenblick. Feste Überzeugungen können unscheinbar die chemische Struktur des Gehirns verändern.

Wir sind daher nur so glücklich, wie wir glauben, dieses Glück auch zu verdienen.

Wie glücklich verdienen Sie zu sein?

Glück tritt nie automatisch ein. Es hängt davon ab, wie Sie mit sich selber verhandeln. Jeder Mensch hat miteinander konkurrierende Stimmen in sich, die sein Glück zerstören oder fördern können.

In wie weit tragen die folgenden harmlos klingenden Überzeugungen langfristig zu ihrem Glück bei?

  • Ich mache andere gerne glücklich.
  • Ich kümmere mich zuerst um andere und dann um mich.
  • Es ist meine Pflicht, mich um andere zu kümmern.
  • Ich möchte nicht im Mittelpunkt stehen.
  • Ich bin gerne im Hintergrund. Andere sind lieber im Rampenlicht als ich.
  • Es ist eine Sünde, so egoistisch zu sein.

Jede dieser Aussagen hat ihre zwei Seiten. Kein Mensch will eine Gesellschaft eigensüchtiger Egoisten, die sich niemandem, insbesondere nicht der eigenen Familie verpflichtet fühlen. Sich bei der Fürsorge für seine Familie hundsmiserabel zu fühlen ist allerdings auch keine Lösung. Leider ist es die Lösung, mit der sich viele abfinden. Weil sie mit schwierigen Situationen nur begrenzt umzugehen wissen, entscheiden sich manche Menschen dazu, passiv zu bleiben. Anstatt etwas zu wagen und in ungewisses, seelisches Neuland vorzudringen, halten sie am jetzigen Zustand fest und werden zum Mitläufer, um nicht anzuecken. Am Ende beherrscht diese Trägheit ihr Leben.[1]

Der Wunsch, sich seinem Glück zu widersetzen, kann riesengroß sein.

Menschen, die sich an Ängste, Abhängigkeiten oder fixe Ideen klammern, haben große Furcht davor, gesund zu werden. Wenn sie jemanden sehen, der sich pudelwohl fühlt, wollen sie nicht so sein.

Gesund sein heißt, bewegliche Grenzen zu haben und ohne Misstrauen und mit Freude an Spontanität für Neues offen zu sein. Diese Wesenszüge sind nicht besonders anziehend, wenn das eigene Leben kaum zusammengeflickt ist.

Anstatt Ihre Unzufriedenheit auf die verschiedenste Art und Weise zu beschreiben, ist es hilfreicher, sich zu fragen, was Sie  glücklich macht  und so zu leben, wie wirkliches Glück es erfordert. Mit wirklichem Glück meine ich das Glück, das uns nicht genommen werden kann.  Das ist der wahre Test, ob Sie es verdienen, glücklich zu sein. Viele Menschen glauben, dass sie ohne die Anerkennung oder Wertschätzung eines anderen Menschen, nicht glücklich sein können.

…Schon in den Brihadaranyaka Upanischaden heißt es „Alles, von dem wir glauben, dass es uns glücklich macht, sogar die innigste Liebe ist die Liebe zu uns selbst.“ …

Bestimmt hinterfragen viele den Gedanken, dass nur das eigene „Ich“ wirklich ist und kritisieren diesen Spruch als egoistisch und eigennützig. Dieses „Ich“ findet sein Glück darin, einfach hier zu sein. Einfach hier sein reicht, um Ruhe, Friede, stille Freude und vollkommene Sicherheit zu finden. Die Welt fühlt sich sicher, wenn Sie sich sicher fühlen.

Sich unglücklich zu  fühlen ist ein Zeichen fehlender Erkenntnis. Wenn Sie wüssten, dass es ein Glück gibt, dass Ihnen nie genommen werden kann, würden Sie nicht auch danach suchen?  Die Furcht vor dem Glück ist die Hürde.  Immer wieder höre ich, wie gefährlich es sei, glücklich zu sein, und dass wir unsanft fallen, je höher wir steigen. Wir brauchen immer noch Hilfe, um mit den Hindernissen und dem Leid in unserer modernen Gesellschaft umzugehen.  Aber ohne Visionen können wir keine Ziele erreichen. Wenn wir nur nach Genuss streben und Schmerzen vermeiden wollen, wenn wir wenig vom Leben erwarten oder glauben, dass es gut ist zu leiden, werden wir nie wirklich glücklich sein.

Wenn Sie den Rest Ihres Lebens glücklich sein möchten, streben Sie jedes Jahr danach, noch glücklicher zu sein. Wenn Sie dies tun, werden Sie viel glücklicher, als sie sich das je hätten vorstellen konnten.


[1] Anmerkung des Übersetzers: zuerst las ich in der Englischen  ‚Version „ruined“ („ruiniert“)  anstatt „ruled“ („beherrscht“), was mir noch treffender erscheint.

© Copyright 2010 Deepak Chopra . Der Originalartikel erschien zuerst im San Francisco Chronicle und wurde von Joachim Schneider in Auszügen aus dem Amerikanischen ins Deutsche angepasst.