2 Familienväter auf Pilgerreise nach Haridwar

Viele denken bei einem „Ashram“ an einen klosterähnlichen Rückzugsort, in dem man meditieren und andere spirituelle Praktiken ausüben kann. Eine von mehreren Bedeutungen von „Ashram“ ist tatsächlich eine spirituelle Gemeinschaft Gleichgesinnter, die im Glauben besteht, dass bestimmte Ziele gemeinsam leichter zu erreichen sind als alleine. In Indien gibt es verschiedene Formen dieser Gemeinschafts-Ashrams: Ein Gurukul, ein Internat oder eine Campusuniversität, ein Ayurveda Ashram, ein Krankenhaus oder  Wellness-Hotel, ein Guru-Ashram, der gemeinnützige Ashram, das Kloster-Ashram und die Abtei, das „Math“.  Ob so ein Ashram  ein „Ort der Anstrengung“ oder der „Mühelosigkeit“  ist, hängt  von der Philosophie der Gemeinschaft ab.

Schutzraum

Inder sagen mir, dass die wirkliche Bedeutung des Wortes „Ashram“ ein „Schutzraum“ ist, dem sich ein Mensch langfristig widmet und in dem er das Beste aus seinem Leben machen kann.

Wo finden Sie Ihren Schutzraum? Als Single, in einer Paarbeziehung, einer Großfamilie im Dorf oder einer bewussten Gemeinschaft?  Vielleicht sind Sie ja sogar ein Tapasvin, ein Einsiedler, der sich bewusst von anderen Menschen abgrenzt und seine Sozialkontakte auf das Notwendigste beschränkt?

In einem auf die westliche Welt bezogenen Entwicklungsmodell (Super, 1957, 1980,1990) ermittelte der Berufspsychologe Donald Super 9 hauptsächliche Lebensrollen  (1) Kind, (2) Schüler/Student (3) Urlauber (4) Bürger, (5) Berufstätiger/Arbeitsloser (6) Partner, (7) Mutter/Vater,(8) Hausfrau/Hausmann, und (9) Rentner. Diese Rollen werden entweder zuhause, in der Gesellschaft, Schule oder am Arbeitsplatz ausgeübt.

 Die 4 Ashrams des Lebens

Die vedische Philosophie unterteilt das Leben in 4 Ashrams oder zeitliche Schutzräume. Der ideale Lebensweg beginnt mit dem „Brahmacharya“, der Lehrzeit des enthaltsamen Schülers und Studenten. Danach wird der Mensch im „Grihastha“ zu einem Haushalter oder einer Haushälterin,  gründet eine Familie und geht einem Beruf nach. Nachdem die Kinder erwachsen sind, zieht sich der Rentner oder die Rentnerin vom Berufs- und Familienleben im „Vanaprashta“ „in den Wald zurück“, bringt sich allerdings noch als Mentor für die Gemeinschaft ein. Im „Sannyasa“ widmet sich der Mensch als Asket einzig seiner Erleuchtung.

 Brahmacharya 

Wörtlich ist ein Brahmachari oder eine Brahmacharini jemand, der wie ein Mönch oder eine Nonne dem „Brahman“, dem absoluten Gott in seinem Verhalten „Achara“, nachfolgt und enthaltsam lebt. Der berühmteste Brahmachari Indiens ist Mahatma Gandhi, der obwohl er verheiratet war, ab dem 36. Lebensjahr sogar den Geschlechtsverkehr mit seiner Frau unterließ.  Streng genommen dürfen Brahmacharis kein gekochtes Essen, Honig, Fleisch oder stimulierende Gewürze zu sich nehmen und nicht selber kochen.  Sie dürfen kein Parfüm, keinen Schirm oder Ledersandalen tragen und nicht an weltlichem Singen oder Tanzen teilnehmen. Ihre Aufgabe ist es, sich weiterzuentwickeln, die Veden zu lesen, den Göttern und Vorfahren Opfer darzubringen und täglich zu baden.

 Schülerzeit

Auch wenn Manche ein Leben lang Brahmachari sind, ist für die meisten das Brahmacharya auf die Schüler- und Studentenzeit begrenzt.  Neben dem Lernen von Tugend, Sattva, sollen sich die Schüler Fähigkeiten aneignen, die ihren inneren Neigungen entsprechen und sie für das spätere Leben vorbereiten (Dharma).  Manche Kinder ziehen mit 5 in ein Gurukul, das Haus des Lehrers ein, um bei ihrem Guru zu wohnen und haben während der Lehrzeit, abhängig davon, wie streng die Schule ist, keinen Kontakt zur Familie. Der Lehrer wird zum Vater mit uneingeschränkter Autorität und kann den Schüler auch niedrige Arbeiten verrichten lassen.

Nach erfolgreichem Schulabschluss  darf der Brahmachari wieder nach Hause zu seiner  Familie. Sobald er die alten Kleider ablegt und gebadet hat, beginnt seine Zeit als Verantwortung tragender Erwachsener im Grihastha.

 Grihastha  (25 – 50)

Grihasta  ist die Zeit, in der ein Mensch eine Familie gründet und einem Beruf nachgeht. Das Ziel ist, produktiv zu sein. Man soll sich Artha, Wohlstand und Besitz auf tugendhafte Weise erarbeiten und seinen Lebensunterhalt mit Fähigkeiten verdienen, die im Brahmacharya erworben wurden. Der materielle Erfolg in dieser Zeit ist dazu da, einem Menschen später den Rückzug vom gesellschaftlichen Leben zu erleichtern.  Um Eltern und Vorfahren für das geschenkte Leben und die genossene Erziehung etwas zurückzugeben, darf man nur in wenigen Fällen das Haushalter-Ashram überspringen.

Der Haushalter soll seinen Pflichten gegenüber der Familie, dem Partner, Kindern, Verwandten, Freunden, Kirche und Gesellschaft nachkommen und religiöse Menschen Studenten und gemeinnützige Einrichtungen finanziell unterstützen.

Da fast alle Götter im Hinduismus verheiratet sind, werden Ehe und ehelicher Sex im Grihastha gefördert, nicht um fleischliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern, um Rajas,  Leidenschaften zu bändigen und um die spirituelle Befreiung vorzubereiten.

Ein Haushalter zu sein ist nicht das Ziel des Lebens in der vedischen Tradition, sondern nur ein Mittel auf dem Weg zur Erleuchtung.

 Vanaprastha  50 – 75,  früher 43 – 65

Wenn  der Beruf seinen Reiz verloren hat, die Familienpflichten erfüllt sind, die Enkelkinder einen anblicken oder angesichts von runzliger Haut und weißem Haar  die Schönheit und Hoffnungen der Jugend sich erschöpft haben, ist die Zeit gekommen, sich spirituellen oder intellektuell befriedigenderen Themen zu widmen.

Vanaprastha bedeutet wörtlich „als Einsiedler in den Wald gehen“ und ist eine Form des Ruhestands, nachdem ein Mensch sein Streben nach Wohlstand aufgegeben hat.

Ursprünglich durfte man im Vanaprastha nur Wurzeln, Reis, Getreide, Gemüse, Obst und Wasser zu sich nehmen, seine Nägel nicht schneiden, die Zähne nicht putzen und sich nicht waschen. Die moderne Auslegung des Vanaprastha ist ein einfaches und enthaltsames Leben weit weg von der Großstadt in Einkehr und Meditation. Der Haushalter löst sich von weltlichen Belangen und gibt mehr und mehr Verantwortung und Besitz an seine Erben und  Familie ab.  Vanaprashtha ist allerdings kein vollkommener Rückzug. Stattdessen soll der Mensch sich mit seinem Wissen als Berater und Mentor in den Dienst der Gesellschaft stellen und mit Ideen zu ihrer Erneuerung beitragen. Man darf zwar Geld verdienen, soll aber nichts ansparen.  Der Mensch muss dabei nicht alleine leben, sondern darf mit seinem Partner oder mit anderen zusammen wohnen. Oft kehrt die Ehefrau auch zu ihrem erwachsenen Sohn zurück oder tritt in ein Witwenashram ein.

 Sannyasa

„Sanyasa“, im Sanskrit bedeutet „alles niederlegen“.  Nachdem der Mensch im Vanaprashta, „im Wald zurückgezogen“ seinen Beitrag für die Gesellschaft geleistet hat, ist der nächste Schritt die Askese als Klostermönch oder als Wandermönch. Ein Sadhu, ein Wandermönch ist nirgendwo sesshaft  und wandert ungebunden durch die Welt.

Während im Grihasta und Vanaprasta die Aufmerksamkeit noch nach außen gerichtet sind, geht der Sannyasin oder die Sannyasini  vollkommen nach innen. Wer alles gesehen hat und sein Leben genossen, zieht sich ganz von der Welt zurück, um Moksha, spirituelle Befreiung zu finden.

Heutzutage gehen nur wenige den Weg des Sannyasa, da man nur das allernötigste zum Leben hat, seine Familie verliert und auch nicht mehr in seinem Haus oder Heimatort wohnen darf, sondern möglichst weit davon entfernt.  Wer das  Sannyasa Gelübde ablegt, nimmt an seinem eigenen Begräbnis teil, ist vor dem Gesetz tot und ist nicht mehr Teil der Gesellschaft. Der Sannyasin übt nur noch spirituelle Rituale  aus, meditiert und bettelt um sein Essen.

Auch wenn es sicherlich nicht leicht ist, sich von der Gesellschaft tu lösen, muss man laut Adi Shankara, nur das Gefühl loslassen, dass die Welt etwas anderes ist als ein Gedanke.

 Karma Sannyasa

In der Vergangenheit wurden nur die Schüler- und Haushalterphasen genau so gelebt wie beschrieben. Die Waldbewohner- und Asketenphase war freiwillig und nur für Privilegierte gedacht. Ein älterer Mensch könnte genauso gut seinen Lebensabend im Hause des Sohnes verbringen.

Wem der Weg des Sanyasins zu unwiderruflich ist, kann ein Karma Sannyasin werden.   Eine Möglichkeit, wie auch ein Haushalter nach Erleuchtung streben kann, ist wenigstens zwei Wochen im Jahr in ein Kloster zu gehen, und enthaltsam ohne Familie, Zigaretten, Internet, Zeitung und fern ab von der Arbeit sich der Meditation und spirituellen Themen zu widmen.

Über vier Ashrams zum grenzenlosen Bewusstsein

Wie die vier Beine einer Kuh erleichtert das Durchlaufen der 4 Ashrams Brahamacharia, Grihastha, Vanaprastha und Sannyasa in der beschriebenen Reihenfolge das Ausweiten der Seele vom  „jiva atma“, dem individuellen Bewusstsein zum „paramatma“, dem grenzenlosen Bewusstsein.

Anstatt alle vier Phasen in Reihenfolge auszuüben, können die Ashrams auch schon frühzeitig zu einer lebenslangen Rolle werden. Ein Schüler kann sich dazu entscheiden, ein Leben lang ein Brahmachari zu sein.

 Chandala

Wer weder eine Familie gründet noch den Weg der Enthaltsamkeit geht, gilt in Indien als „Chandala“, eine „Belastung“ für die Gesellschaft, als unproduktiv und nicht pflichtbewusst. Nur reinschnuppern, sich oberflächlich mit etwas beschäftigen oder sich nicht für die Gesellschaft einbringen wird für die Weiterentwicklung als hinderlich angesehen, ist es doch ein Zeichen dafür, dass ein Mensch nicht wirklich lieben kann.

Auch wer sich im Rentenalter nicht in den Dienst der Allgemeinheit stellt oder nach Befreiung strebt, verschwendet seine wertvolle Lebenszeit.  Wer darüberhinaus in seinem Horoskop ungünstig von Rahu, dem nördlichen Mondknoten beeinflusst wird, neigt auch zum Chandala.

Die Rishis empfehlen, dass man sich für einen der 4 Ashrams entscheidet, um sich in der kurzen Lebenszeit, die wir zur Verfügung haben, so weit wie möglich weiterzuentwickeln.

Lesen Sie über den Einfluss der Planeten auf die verschiedenen Lebensphasen in der vedischen Tradition oder der westlichen Psychologie

Quellen

http://wiki.yoga-vidya.de/Ashram

http://www.yogamag.net/archives/1983/isep83/ks.shtml

http://en.wikipedia.org/wiki/Ashrama_(stage)

Ernst Wilhelm, „Graha Sutras“.